Mittwoch, 24. Februar 2010

Aus gegebenem Anlass: Helden

"Die Ägypter waren eine alte weiße Rasse, die in einem der nördlichen Teile von Afrika lebte. Letzteres ist, wie wir alle wissen, der größte Kontinent der östlichen Hemisphäre.
Die Ägypter sind für uns heute aus vielerlei Gründen von größtem Interesse. Die moderne Wissenschaft möchte noch immer gern wissen, mit welchen geheimen Ingredienzien die Ägypter Tote einwickelten, so dass ihre Gesichter unzählige Jahrhunderte lang nicht verwesten. Dieses interessante Rätsel ist noch heute eine ziemliche Herausforderung für die moderne Wissenschaft im zwanzigsten Jahrhundert.



LIEBER MR. SPENCER.
Mehr weiß ich nicht über die Ägypter. Sie interessieren mich einfach nicht sehr, obwohl Ihr Unterricht sehr interessant ist. Es ist schon in Ordnung, wenn Sie mich durchfallen lassen, weil ich in allem anderen außer Englisch sowieso auch durchfalle.

Hochachtungsvoll.

Ihr HOLDEN CAULFIELD".*



Na? Wem von Euch kommt das irgendwie bekannt vor? Fühlt Ihr Euch da nicht auch mal schnell rückversetzt in die Zeiten, als Ihr so 15, 16, 17 wart?
Früher gab´s für mich zwei Helden in der Literatur, und das waren natürlich Holden Caulfield und selbstverständlich Edgar Wibeau. Vielleicht haben die beiden mich auch echt versaut. Immerhin fand ich damals völlig in Ordnung, dass ich auch alles um mich herum ziemlich ätzend fand und eigentlich sogar die Butter auf dem Teller in Frage gestellt habe. Und ich finde das schon richtig gut, dass ich das dem ollen Salinger und dem Plenzdorf auf jeden Fall mit in die Schuhe schieben kann, wie ich da angefangen habe, alles so hyperkritisch zu beäugen und lieber selber irgendwie komisch war, als irgendwelches komisches Zeug mitzumachen. Den Salinger haben wahrscheinlich so ziemlich alle irgendwann mal gelesen und sich mal mehr, mal weniger auf Holdens Seite geschlagen, was die Sicht der Dinge so betrifft.

Holden jedenfalls ist ja 16, und eigentlich findet er so ziemlich alles piefig und verlogen, was ihm so unterkommt. Das macht mich echt fertig. Typen wie die, die Salinger beschreibt, gibt es ja zum großen Unglück aller auch immer und überall tatsächlich, und wahrscheinlich macht gerade das es so authentisch, wie Holden aus dem Internat abhaut und wen er alles trifft und so und wie er eigentlich gar nichts treibt, aber das trotzdem so erzählt, dass man unbedingt dabei bleiben will, wie er sich so treiben lässt und irgendwie gar nichts macht. Außer ab und zu die Enten im Stadtpark zu suchen, weil er wissen will, was die eigentlich im Winter so treiben, wenn der See tiefgefroren ist.

Vor ein paar Wochen ist dieser Salinger jedenfalls gestorben und mein Liebster hatte plötzlich Lust, sich "Der Fänger im Roggen" nochmal zu kaufen, und ich hab´s also auch gleich nochmal gelesen. Und was finde ich? Vor allem, dass dieser Holden ganz schön von sich überzeugt ist. Davon, dass er auf jeden Fall alles richtig macht und so. Und dann habe ich festgestellt, dass ich wohl eine ziemlich verlogene alte Schachtel geworden bin, weil ich plötzlich alles in Frage stelle, was der gute Holden so treibt. Sollte man nicht, sollte man einfach genießen und mal wieder alles etwas kritischer beäugen, was die anderen so machen.

Und ich finde außerdem, dass da sämtliche tiefgreifenden Erklärungs- und Literaturdeutungsversuche echt total fehl am Platz sind. Den Salinger muss man einfach lesen. Und zwar am besten mit 16. Und dann immer wieder mal, wenn einem danach ist. Oder auch wenn einem nicht danach ist, das muss einfach alle fünf Jahre Pflichtlektüre werden. Ohne das ganze tiefschürfende Erklärungszeug, das Literaturfreunde immer anschleppen, um auch bloß den letzten Leser von dem Buch wegzukriegen. Der Salinger ist nichts zum Interpretieren, glaubt mir, der ist was zum Fühlen und sich frei machen. Der Salinger ist eher ein Lebensgefühl auf ein paar hundert Seiten, als Objekt irgendeines Literatengeschwafels.

91 ist er jedenfalls geworden, der gute J. D., und man kann sich gar nicht vorstellen, dass so ein alter Mann so ein Buch geschrieben hat. Natürlich hat er das nicht mit 91 geschrieben oder so. Aber: Immerhin hat der das Buch erst im zarten Alter von 31 Jahren oder so herausgebracht. Der Jüngste war der da auch nicht mehr. Wie kann man in dem Alter sowas noch fabrizieren? Vom Erwachsenwerden und Herumpubertieren hat man da doch eigentlich schon gar keine Ahnung mehr. Merke ich jedenfalls an mir, glaube ich.
Deshalb wird es auch höchste Zeit, dass ich "Die neuen Leiden des jungen W." nochmal lese.
- Das habe ich mir schon zweimal gekauft, zweimal verliehen und dann zweimal nie wieder gekriegt. Ich hoffe, dass beide Bücher wenigstens gut behütet und geliebt in Schränken stehen und gelesen werden. So wie der Salinger. Der darf wirklich nicht aus der Mode kommen, auch wenn der Typ, der das geschrieben hat schon lauter Falten hat und tot ist und so.
Edgar und Holden, das sind eben Helden. Und Helden sterben ja bekanntlich nie aus.


* Ausschnitt aus "Der Fänger im Roggen" von J. D. Salinger

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