Es gab mal eine Zeit, in der konnte man in Würzburg abends einfach in die Kneipe gehen und einen gemütlichen Abend verbringen. Das war zu einer Zeit, zu der ich fast geneigt war, meinem lieben Kollegen B. zu glauben, wenn er sagte: "Wofür brauche ich eine große Wohnung, Würzburg hat doch über 100 Kneipen".
Wer daher jetzt, im Corona-Lockdown, einfach mal einen Erinnerungstaucher in die gute alte Zeit, in der man nichts zu lachen hatte, braucht, sollte zur Vorbereitung auf die Zeit nach der Pandemie „Jürgen“ von Thomas Libischer lesen.
Die Story heruntergebrochen: Ben will Erfolg, Jürgen will Erfolg, alle wollen Erfolg. Der lässt auf sich warten, aber bis dahin muss man halt irgendwas tun. Zum Beispiel kneipieren, philosophieren, sympathisieren. Das ganze spielt sich - natürlich - in Würzburg ab.
Was sich gerade vielleicht gar nicht mal spannend anhört, macht aber sehr großen Spaß zu lesen.
Das überaus Besondere an diesem Buch ist nämlich ein unerwarteter Heimvorteil - und zwar völlig abseits vom spießigen und vielgepriesenen "Lokalkolorit", der allen in der Touristenwelt bekannten Regionen mittlerweile seitenweise schlechte Kleinkrimis im Schatten bekannter Denkmäler und Reisepilgerstätten eingebracht hat.
Denn fast undenkbar für einen Bürger der Fränkischen Mainmetropole ist doch die Vorstellung, dass Würzburg irgendwie hip sein könnte. Hier aber gelingt es, uns erfolgreich zu suggerieren, dass Würzburg echt eine Art Großstadt-Flair hat, ja nahezu ein echt lässiger Wohnsitz sein könnte:
Denn ohne diesen Faktor würde "Jürgen" irgendwie auch gar nicht funktionieren. Zu schräg sind die Charaktere, zu hintergründig komisch ist es, wie die Protagonisten lakonisch, manchmal herrlich miesantropisch durch das Würzburger Nachtleben havarieren, immer auf der Spur des Titelhelden Jürgen - und des sich irgendwie nicht einstellen wollenden Erfolgs. So wird sich bei der Lektüre auch auch der härteste Muffel-Franke dabei ertappen, es irgendwie cool zu finden, in dieser Stadt zu wohnen.
Für nicht-Würzburger zeigt sich dagegen endlich mal ein unverstellt-ehrliches Bild auf diese weinbergbeschnurte Touri-Stadt.
Weil sie - und zwar Gott sei Dank weit abseits von Residenz, Weinfest und Mainbrücke - doch einiges zu bieten scheint.
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