Ich kann das mittlerweile jetzt echt schon ganz gut glauben, dass die sechs Wochen Theatermarathon vorbei sind. Für mich war das ja das erste Mal Sommertheater und immerhin habe ich in jeder Vorstellung selbst gespielt, also sogar auf meinen beliebten Trick mit der geteilten Rolle verzichtet. Das ist dann also bei fünf Spielterminen in der Woche auch ein recht intensives Erlebnis, bei dem man nach dem Ende erstmal in so ein kleines Loch fällt und alle und alles vermisst. Auf der anderen Seite ist das aber auch sofort ganz schön, wieder Herrin seiner Zeit zu sein und machen zu können, was ich wann auch immer will.
Jetzt habe ich also Zeit.
Viel Zeit.
Die nutze ich auch sehr erfolgreich. Lese demzufolge drei Bücher auf einmal, kaufe trotzdem nebenher noch Zeitschriften und neue Bücher dazu.
Das mit den Büchern ist so eine Sache, weil man ja auch immer gerne erzählt was man so liest. Manchmal darf man das nicht erzählen, weil einen dann alle am Tisch für bekloppt halten. Habe neulich bei Essen erzählt, das ich mal (freiwillig, nicht nur das nötigste in der Schule) Kafka gelesen habe. Frage vom Gegenüber: "Was ist denn daran so toll, außer dass es Weltliteratur ist und alle sagen, oh, toll, Kafka. Der schreibt doch so wirres Zeug. Das kann man doch gar nicht lesen, das gibt einem doch nichts". Also erzähle ich dann, was ich gerade lese, und da ist das Entsetzen dann noch größer. Ist also ganz egal, was man liest, guckt doch immer einer komisch. Gerade habe ich recht viel Geld in Literatur investieren müssen, von der alle behaupten, sie sei das nicht wert. Deshalb auch das ganze Entsetzen-Pipapo am Tisch. Und das kam alles so:
Ich lese in der Mittagszeit beim Essen immer gern FAZ online. Da habe ich dann auch erfahren, dass die Frau Roche ihr neues Buch rausgebracht hat. Und obwohl ich das Debut, Feuchtgebiete, gar nicht gelesen habe, und mir eine Freundin erzählt hat, dass es da bloß um irgendwelche Blumenkohl-Hämorrhiden geht, habe ich dann doch den Neugierkurs eingeschlagen.
Ich wollte also dieses neue Buch dann doch irgendwie lesen. Ist aber gar nicht so einfach, weil das ja neu ist und man das mangels Leihmöglichkeiten nicht einfach mal so ausgeliehen kriegt. Will ja auch keiner haben, offiziell, eins von diesen bösen Schmuddelbüchern. Dabei haben alle aber irgendwie doch Feuchtgebiete gelesen. Also zumindest mal reingeschaut. Will aber keiner persönlich gekauft haben und demzufolge auch nicht an mich ausleihen.
Ist wie mit der Bild-Zeitung. Die verkauft sich auch super, aber keiner liest die. Komische Geschichte. Feuchtgebiete hat dagegen jeder mal gelesen, will aber keiner im Regal stehen haben. Ich beschließe deshalb, wenn ich das lesen will, muss ich das wohl selber kaufen. Öffentlich. In einer Buchhandlung.
Geht auch bei Amazon, aber das hätte mir zu lange gedauert. Ich bin da ziemlich ungeduldig, wenn ich was in der Nase hab, das ich lesen oder hören will. Besonders, wenn das jeder kennt, aber keiner besitzen will. Da gibt es nämlich nur zwei Erklärungen: Entweder, das ist so unglaublich gut, dass keiner das verleihen will, und alle wie die Elstern auf dem Gold sitzen -oder aber, das ist so skandalös, dass ich mindestens genauso besessen davon werde, mich der Kenner-Gemeinde anzuschließen.
Ich schleiche also samstag bei voller Hütte in der ortsansässigen größten Buchhandlung durch die Gassen und komme dann auch am großen Ihh-Bäh-Pfui-Charlotte Roche-Stapeltisch vorbei. Schaue mal rein. Hört sich gar nicht so schlimm an, nur ein bißchen ehelicher Sex, und sonst auch eigentlich nichts wirklich richtig krudes. Ich finde, das kann man ruhig mal kaufen, ohne dass man da komisch angesehen wird. Bewege mich also selbstsicher zur Kasse und kaufe das einfach. habe ich dann eine Woche später auch mit den Feuchtgebieten so gemacht. Ich musste da einfach einsehen, dass ich da sonst nicht rankomme. In der Bücherei ist es ständig ausgeliehen und vorbestellt, und persönlich haben will das ja keiner, obwohl das Ding sich millionenfach verkauft haben will.
Habs übrigens auch alles gelesen. Ist gar nicht schlimm, echt nicht, gerade das neue nicht. Drei Tage Eheleben, Patchworkfamiliendasein, Unfallreflexion, Schicksalsdarstellung. Viel Innenleben, Gedankenwelten. Ich weiß nicht mal, ob das jetzt so wahnsinnig interessant ist, was da geschrieben steht. Ich finde im Gegensatz zu vielen anderen aber: Das kann ruhig mal gesagt werden. Das lässt einen mit vielen eigenen kruden Gedanken nicht so allein dastehen. Wenn man zum Beispiel mal krank ist mit was ekligem, Fusspilz oder Schrottzähne-Karies oder so, dann denkt man immer: Ich armer Mensch, jetzt bin ich krank und keiner leidet so wie ich. Ich kann darüber auch gar nicht reden, weil das ja eklig ist. Man schämt sich da ja schon irgendwie. Ich finde, das geht besser, wenn man z. B. dann Werbung sieht für Pilzmittel oder Zahnarztanzeigen liest. Das tut gut, weil man merkt: Ich bin ja gar nicht der einzige mit der Ekel-Sache. Und da ist man auch gleich viel beruhigter.
So ist das auch mit Charlotte Roches Büchern. Die sind natürlich total überzogen und plakativ, aber irgendwie merkt man: Man ist da nicht alleine krank in der Birne, das ist alles total normal, völlig im Rahmen. Das muss man vielleicht auch alles ein bißchen klinisch-neutral betrachten, was man da so liest, und sich nicht dauernd denken: Das ist aber jetzt keine Weltliteratur hier, das ist aber doch voll widerlich, das ist ja kein literarischer Hochgenuss, das gibt keinen Preis für unentbehrliches Literaturgut, etc.
Man kann das einfach auch nur mal lesen und sich denken: Andere sind schlechter dran als ich. Komische Gedanken kann man einfach mal so haben. Ich darf mich mit meinem Körper beschäftigen. Aha, andere tun das auch. Und wenn ich mal was komisches denke oder ein bisßchen verhaltensauffällig bin, muss ich nicht gleich zum Psycho-Doktor, das bleibt den härteren Fällen vorbehalten. Sehr erleichternd.
Ich weiß auch gar nicht, ob man das alles so kritisch analysieren muss, was die Frau Roche so schreibt. Es interessiert mich jetzt auf einmal auch nicht mehr, was andere über die Bücher denken. Ich kann mir selber eine Meinung bilden. Ich werde deshalb keine Artikel über diese Bücher ansehen oder darüber lesen. Man muss darüber nicht so viel sagen, denn so unfassbar aufmümpfig oder sensationell oder neu ist das doch alles gar nicht. Krank ist das auch nicht, sondern ich glaube, das ist alles - wenn man mal das für ein Buch eben notwendig aufgesetzt überinteressante weglässt (sonst ließe sich das aus Banalitätsgründen wohl auch kaum überhaupt verkaufen)- ziemlich normal.
Also, wenn wer eins von den Büchern lesen will: Ich gebe die auch mal aus der Hand. Würde ich verleihen, ganz ehrlich, gar kein Problem. Ihr müsstet dann nur zugeben, dass Ihr eins davon mal lesen wollt und mich fragen. Ja, so einfach kann das sein ;-).