Donnerstag, 15. November 2018

Der Tod ist niedlich

Ich war dieses Jahr ziemlich traurig, weil meine Oma gestorben ist. Und den Moment, an dem meine Mama und ich auf dem Friedhof gefragt wurden, ob wir die Urne mit der Asche selbst tragen wollen, wir uns nur ansehen mussten und gleich beherzt alle beide dieses komische Tablett mit der blauen Vase drauf an den Griffen packten um die Oma auf dem letzten Gang zu begleiten, werde ich niemals vergessen.

Ein paar Tage später las ich, dass Sebastian Niedlich ein neues Buch herausbringen wird: „Der Tod ist schwer zu überleben“. Und weil mir einfiel, dass ich doch da mal was gelesen hatte, habe ich zur Wartezeitüberbrückung einfach sein Debüt „Der Tod und andere Höhepunkte in meinem Leben“ nochmal gelesen, an die Oma gedacht und über den Tod sinniert. 
Die Geschichte handelt von Martin, und auch auch Martins Oma segnet gleich zu Beginn des Buches das Zeitliche. Blöderweise haben Martins Eltern ihn da kurz mit ihr alleine gelassen, was an sich jetzt ja erstmal eher unangenehm klingt. Zum Glück steht da dann aber ein Typ neben dem Bett, und als der toten Oma ein kleiner Schmetterling aus dem Mund krabbelt, zückt der ein Schmetterlingsnetz und fängt den fröhlichen Falter ein. Als Martin und der Kuttenmann dann ins Gespräch kommen, ist der erstmal erstaunt, dass er überhaupt gesehen werden kann - und damit sind dann auch gleich die Weichen gestellt: Martin hat Tod getroffen und ist offenbar der einzige, der überhaupt mit ihm kommunizieren kann. Und weil der leibhaftige Tod jetzt naturgemäß eher nur kurzzeitig  bemessene soziale Kontakte hat, werden die beiden irgendwie Freunde. 
Obwohl das mit dem Tod teilweise eine recht anstregende Sache ist - Martin wird mit ihm auf Reisen genommen, geht bowlen in Moskau, führt Gespräche auf den Azoren und ist bei diversen Toden dabei - erlebt er genauso wie ich eine Kindheit in den 80ern und eine Jugend in den 90ern. Und genau das macht den unglaublichen Charme dieses Buches für mich aus. Martin liebt StarWars, Schwimmen am See und Anja, erlebt die Wende, den Aufstieg von Nirvana, Kurt Cobains Tod, den Einsturz der Twintowers, muss sich für einen Beruf entscheiden und studiert. Ich sehe im Zeitraffer ein paralleles Leben, leide bei allem nochmal mit und kriege wahrhafte Nostalgieanfälle. 
Wenn da nur nicht der Tod wäre - der plötzlich irgendwie der Auffassung ist, dass Martin unbedingt sein Nachfolger werden muss und Martin mit seinem eigenen Tod konfrontiert - und das nicht weit über 30. Nur wenig älter bin ich jetzt auch, und nein, ich will nicht sterben! Und schon gar nicht danach jahrhundertelang in einer schwarzen Kutte durch die Gegend eiern, um mich um tote Leute zu kümmern.
Ihr werdet es ahnen: Wo es einen zweiten Band gibt, kann das Ende nicht so einfach sein. Dieser zweite Band ist jetzt da, und tatsächlich ist er mindestens genauso toll wie der erste. Ich verrate nur, dass ich beim Lesen der letzten Seiten zufällig in einem Zug saß und so gerührt war, dass ich einem sichtlich verwirrten Kontrolleur total verheult meine Fahrkarte unter die Nase halten musste. Weil es zwar schrecklich weh tut, aber man manchmal im Leben einsehen muss, dass der Tod auch nur seinen Job macht. Weil man Schmetterlinge dahin gehen lassen muss, wo neues Leben entsteht, und weil es wahnsinnig beruhigend ist, zu wissen, dass ganz egal wann, wo und wie man stirbt, jemand da sein wird, der dafür sorgt, dass alles kommt wie es kommen muss und der jeden Schmetterling nach Hause bringt.

Fazit: Unbedingt lesen. Infos gibt es hier:

Website Sebastian Niedlich

Der Tod bei Amazon

Mittwoch, 24. Oktober 2018

Urlaub

Die Chello hat Urlaub. Seit Montag. Das ist schön. Es ist erst Mittwoch. Ich habe schon einen neuen Wasserhahn installieren lassen, Kuchen gebacken, das Bad geputzt, war zweimal im Kino, habe drei Filme von der ToDoListe gesehen, ein neues Lied auf der Gitarre geübt, ein Buch gelesen, mir Essen gekocht und mit dem liebsten meinen Rechner und das Handy neu eingerichtet.

Es ist 11Uhr und ich steh vorm Kupsch. Hab schon eingekauft, Geld geholt und muss noch in die Autowerkstatt. Neben mir stehen zwei Rentner in einen Plausch vertieft.

Sie: „... Ich hab auch nicht zu viel Zeit. Ich hab schon meinen Hund, mit dem geh ich ja auch zweimal am Tag raus.“

Er: „Jo, des is ja scho wos. Wos muss man scho mehr mache.“

Recht hatter. Ich penn jetzt erstmal ne Runde. Und morgen nehme ich mir dringend vor, nichts zu machen und meine ToDoListe mit diesem Punkt unbedingt zu erledigen.

Montag, 22. Oktober 2018

Dreigroschenfilm

Obwohl ich heute Nacht bis zwei unterwegs war, habe ich mich aus dem Bett gequält, um die letzte in Würzburg dargebotene Vorstellung des "Dreigroschenfilms" zu sehen. Zu meinem großen Erstaunen lief der nur im kleinen Programmkino, und es gab nur einige ganz wenige Vorstellungen in Würzburg. Und das, obwohl das der im Moment wohl durchaus sehenswerteste deutsche Film sein dürfte. 

Es ist 1928 und Bertold Brecht feiert mit Uraufführung der Dreigroschenoper in Berlin einen sensationellen Erfolg, mit dem zunächst niemand gerechnet hatte. 

Kurt Weill und Brecht sind von nun an Stars am deutschen Unterhaltungshimmel - und obwohl sie sich anfangs wehren, wird ein Vertrag mit der Filmindustrie abgeschlossen und die Verfilmung des Stücks in Angriff genommen. Die Interessen der Künstler und der Geldinvestoren stehen aber diametral zueinander (denn was das Publikum will, entscheidet der Geldgeber) und so gipfelt das Ganze in einem Prozess über die Urheberrechte und das geistige Eigentum; all dies überschattet vom Erstarken der NSDAP unter der Führung Adolf Hitlers. 

Sagenhafte 135 Minuten lang - die aber niemals langweilig erscheinen - erzählt Joachim Lang also zwei Geschichten: Die des aufmümpfigen, cleveren Bertold Brechts und die "Dreigroschenoper", von Musik ganz im Stile Weills und Tanzszenen übermalt - vielleicht, aber auch nur vielleicht so, wie Brecht sich das immer vorgestellt hatte. 

Die Handlungen werden aber vermischt - bis ins skurrile überzogen und überlagert:  Die Parabel, die die Fehler der gutbürgerlichen Gesellschaft aufdeckt, auf den Kulturkonflikt im von den Nazis geführten Deutschland übertragen. Das gelingt nicht immer ganz,  dennoch wird eines klar: Wer intelligent ist, gewitzt ist, Freiheit und künstlerischen Spielraum als Ziele verfolgt, den Menschen kritisch und kritikfähig erhält und dabei einem bestimmenden, totalitären System die Stirn bietet - wird am Ende gefressen, weil das System die Spielregeln aufstellt. 
Sämtliche Äußerungen Brechts - wunderbar charmant und voll Esprit dargestellt von Lars Eidinger -  in diesem Film sind übrigens Zitate von Brecht selbst, die in die Dialoge eingebettet und eingeflochten wurden. Zuweilen, obwohl ich viele davon tatsächlich kenne, weil ich sie irgendwann einmal irgendwo gelesen habe, sind sie aber so schnell vorgetragen, dass mit die Botschaft gar nicht verständlich werden kann. Das ist für ich aber ein kleines, und verträgliches Manko. 

Ich hab nämlich heute was gelernt:  Und zwar, dass ein einschränkendes System, das den Menschen verdummen lässt und zuviel Kontrolle ausübt, verkehrt ist. Und wenn ich am Ende des Films dann nach Brechts Flucht aus Deutschland altes Filmmaterial sehe - von brennenden Bücherbergen und Adolf Hitler - dann frage ich mich, ob nicht jeder der zur Wahl geht sich ernsthaft fragen sollte: 

Was ist mir meine Freiheit wert?