Ich war dieses Jahr ziemlich traurig, weil meine Oma gestorben ist. Und den Moment, an dem meine Mama und ich auf dem Friedhof gefragt wurden, ob wir die Urne mit der Asche selbst tragen wollen, wir uns nur ansehen mussten und gleich beherzt alle beide dieses komische Tablett mit der blauen Vase drauf an den Griffen packten um die Oma auf dem letzten Gang zu begleiten, werde ich niemals vergessen.
Ein paar Tage später las ich, dass Sebastian Niedlich ein neues Buch herausbringen wird: „Der Tod ist schwer zu überleben“. Und weil mir einfiel, dass ich doch da mal was gelesen hatte, habe ich zur Wartezeitüberbrückung einfach sein Debüt „Der Tod und andere Höhepunkte in meinem Leben“ nochmal gelesen, an die Oma gedacht und über den Tod sinniert.
Die Geschichte handelt von Martin, und auch auch Martins Oma segnet gleich zu Beginn des Buches das Zeitliche. Blöderweise haben Martins Eltern ihn da kurz mit ihr alleine gelassen, was an sich jetzt ja erstmal eher unangenehm klingt. Zum Glück steht da dann aber ein Typ neben dem Bett, und als der toten Oma ein kleiner Schmetterling aus dem Mund krabbelt, zückt der ein Schmetterlingsnetz und fängt den fröhlichen Falter ein. Als Martin und der Kuttenmann dann ins Gespräch kommen, ist der erstmal erstaunt, dass er überhaupt gesehen werden kann - und damit sind dann auch gleich die Weichen gestellt: Martin hat Tod getroffen und ist offenbar der einzige, der überhaupt mit ihm kommunizieren kann. Und weil der leibhaftige Tod jetzt naturgemäß eher nur kurzzeitig bemessene soziale Kontakte hat, werden die beiden irgendwie Freunde.
Obwohl das mit dem Tod teilweise eine recht anstregende Sache ist - Martin wird mit ihm auf Reisen genommen, geht bowlen in Moskau, führt Gespräche auf den Azoren und ist bei diversen Toden dabei - erlebt er genauso wie ich eine Kindheit in den 80ern und eine Jugend in den 90ern. Und genau das macht den unglaublichen Charme dieses Buches für mich aus. Martin liebt StarWars, Schwimmen am See und Anja, erlebt die Wende, den Aufstieg von Nirvana, Kurt Cobains Tod, den Einsturz der Twintowers, muss sich für einen Beruf entscheiden und studiert. Ich sehe im Zeitraffer ein paralleles Leben, leide bei allem nochmal mit und kriege wahrhafte Nostalgieanfälle.
Wenn da nur nicht der Tod wäre - der plötzlich irgendwie der Auffassung ist, dass Martin unbedingt sein Nachfolger werden muss und Martin mit seinem eigenen Tod konfrontiert - und das nicht weit über 30. Nur wenig älter bin ich jetzt auch, und nein, ich will nicht sterben! Und schon gar nicht danach jahrhundertelang in einer schwarzen Kutte durch die Gegend eiern, um mich um tote Leute zu kümmern.
Ihr werdet es ahnen: Wo es einen zweiten Band gibt, kann das Ende nicht so einfach sein. Dieser zweite Band ist jetzt da, und tatsächlich ist er mindestens genauso toll wie der erste. Ich verrate nur, dass ich beim Lesen der letzten Seiten zufällig in einem Zug saß und so gerührt war, dass ich einem sichtlich verwirrten Kontrolleur total verheult meine Fahrkarte unter die Nase halten musste. Weil es zwar schrecklich weh tut, aber man manchmal im Leben einsehen muss, dass der Tod auch nur seinen Job macht. Weil man Schmetterlinge dahin gehen lassen muss, wo neues Leben entsteht, und weil es wahnsinnig beruhigend ist, zu wissen, dass ganz egal wann, wo und wie man stirbt, jemand da sein wird, der dafür sorgt, dass alles kommt wie es kommen muss und der jeden Schmetterling nach Hause bringt.
Fazit: Unbedingt lesen. Infos gibt es hier:
Website Sebastian Niedlich
Der Tod bei Amazon
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