Donnerstag, 25. März 2021

Süßer Vogel Myriade - ein neues Album von Selig

Wir schreiben das Jahr 2021, und etwa ein Jahr seit Ausbruch der weltweiten Pandemie gibt's auch endlich mal ein paar gute Lockdown-Nachrichten: Ein Haufen Künstler hat, anstatt sich auf Bühnen herumzutreiben, Studios angemietet und neue Musik produziert. Es wird also zumindest mit Kopfhörern ein lautes und extrem tanzbares Frühjahr geben. 

Ich fange mal mit meiner ersten großen Liebe Selig an. Die haben im März ein Album mit erstaunlich unterschiedlichem Sound rausgebracht. Nach dem ersten Anhören habe ich mich erstmal gefragt, wer sich die Reihenfolge der Songs bloß ausgedacht hat. Es erwartet einen nämlich ein ziemlich verrücktes Potpourri aus klanglichem Neuland und typischen Seligsound - und zwar in stetigem Wechsel. 

Egal, ich liebe es einfach, zuzuhören, wenn Christian Neander Gitarre spielt. Das kann man besonders  machen mit dem funky-style "Spacetaxi", oder auch im Akustik-Intro zu einem groovigen "Myriaden" -Song, der dann auch noch mit schönen Riffs daherkommt und einfach Spaß machen will. Wie eine Fortsetzung von "Regenbogenleicht" kommt einem "Postkarte" vor - wer weiß, vielleicht mausert sich das zu einem neuen live-Rausschmeisser-Song. Die stets singfreudigen Seligfans werden den sicher schnell gelernt haben.

Herzschmerzig kommen "SMS K.O.", "Alles ist so" und "Du" daher - das könnte keiner außer Jan Plewka singen. Klänge dann doof. Jan dagegen hört man gerne zu. Erstaunlich direkt ist diesmal so mancher Text:  Alles ist so ordinär - ich will nicht, dass die Welt so untergeht. Da gibt's nichts zu interpretieren oder überlegen - Wenn alles so bleibt wie es ist, dann haben wir verlorn. 

Aber es gibt auch echte Pop-Songs auf "Myriaden". Zum Beispiel gleich mit "Süßer Vogel", wo es zimbelt, plingt und die Nacht am Ende schreit. Oder ein Sommer-seeliges "Paradies im Traumrausch" mit soooo schön heulender Gitarre. Etwas typischer für Selig, dennoch extrem eingängig: "So lang gewartet".

Lieblingssong nach dreimal hören: "Zeitlupenzeit". Aber das liegt wohl daran, dass das einerseits extrem tanzbar ist - und außerdem wohl am Lockdown: 

Und du fragst mich, warum ich so nervös bin? 
Warum meine Nerven so porös sind? 
Liegt es an dir oder liegt es am Geld 
oder liegt es am Ende der Welt?

Und ich frag mich, warum ich so nervös bin,
warum meine Nerven so porös sind.
Innerlich abgeschmiert - 
ich wäre bereit für ein Leben in 
Zeitlupenzeit

Ganz typischer Selig Sound kommt übrigens mit Track Nummer 7 daher. Der heißt dann auch wundersamer Weise "Selig". Das ist irgendwie eine kleine Rückreise auf jedes Konzert das ich von dieser Band je besucht habe. Und das ist auch der Song, auf den ich mich live am meisten freue. Selig-Fans sind ja große Tänzer und wunderbare Mitsinger. Also schonmal Text üben und vielleicht ´n bißchen Wohnzimmer-Sport machen, bevor es im September - so das Virus, dessen Name nicht genannt werden soll, es erlaubt - dann hoffentlich abgeht im Nürnberger Hirsch.  

Samstag, 6. März 2021

Würzburg war mal Jürgen - Thomas Libischers Roman für Erinnerungslücken an bessere Zeiten

Es gab mal eine Zeit, in der konnte man in Würzburg abends einfach in die Kneipe gehen und einen gemütlichen Abend verbringen. Das war zu einer Zeit, zu der ich fast geneigt war, meinem lieben Kollegen B. zu glauben, wenn er sagte: "Wofür brauche ich eine große Wohnung, Würzburg hat doch über 100 Kneipen".

Wer daher jetzt, im Corona-Lockdown, einfach mal einen Erinnerungstaucher in die gute alte Zeit, in der man nichts zu lachen hatte, braucht, sollte zur Vorbereitung auf die Zeit nach der Pandemie „Jürgen“ von Thomas Libischer lesen. 

Die Story heruntergebrochen: Ben will Erfolg, Jürgen will Erfolg, alle wollen Erfolg. Der lässt auf sich warten, aber bis dahin muss man halt irgendwas tun. Zum Beispiel kneipieren, philosophieren, sympathisieren. Das ganze spielt sich - natürlich - in Würzburg ab. 

Was sich gerade vielleicht gar nicht mal spannend anhört, macht aber  sehr großen Spaß zu lesen. 

Das überaus Besondere an diesem Buch ist nämlich ein unerwarteter Heimvorteil - und zwar völlig abseits vom spießigen und vielgepriesenen "Lokalkolorit", der allen in der Touristenwelt bekannten Regionen mittlerweile seitenweise schlechte Kleinkrimis im Schatten bekannter  Denkmäler und Reisepilgerstätten eingebracht hat. 
Denn fast undenkbar für einen Bürger der Fränkischen Mainmetropole ist doch die Vorstellung, dass Würzburg irgendwie hip sein könnte. Hier aber gelingt es, uns erfolgreich zu suggerieren, dass Würzburg echt eine Art Großstadt-Flair hat, ja nahezu ein echt lässiger Wohnsitz sein könnte: 
Denn ohne diesen Faktor würde "Jürgen" irgendwie auch gar nicht funktionieren. Zu schräg sind die Charaktere, zu hintergründig komisch ist es, wie die Protagonisten lakonisch, manchmal herrlich miesantropisch durch das Würzburger Nachtleben havarieren, immer auf der Spur des Titelhelden Jürgen - und des sich irgendwie nicht einstellen wollenden Erfolgs. So wird sich bei der Lektüre auch auch der härteste Muffel-Franke dabei ertappen, es irgendwie cool zu finden, in dieser Stadt zu wohnen.
Für nicht-Würzburger zeigt sich dagegen endlich mal ein unverstellt-ehrliches Bild auf diese weinbergbeschnurte Touri-Stadt. 
Weil sie - und zwar Gott sei Dank weit abseits von Residenz, Weinfest und Mainbrücke - doch einiges zu bieten scheint. 

Mehr zu Jürgen gibt´s hier: 


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