Mittwoch, 23. Oktober 2013

The Time Machine: Back to the 90s

Ich bin ja immer gern im hier und jetzt. In seinen Dreißigern kann man aber immerhin schon auf drei Jahrzehnte Top-oder-Flop Entwicklungen zurückschauen. Vom letzten Jahrzehnt bin ich wenig beeindruckt - ist ja auch ein bisschen sehr kurz her, um ernsthaft nostalgisch zu werden.
Um so mehr bemüht mein Umfeld gelegentlich die Flucht in die gute alte Zeit in der man nichts zu lachen hatte, und da sind immer noch die 80er total im Rennen. Der Gedanke an die 80er ist für mich aber leider untrennbar verbunden mit Bad Taste zu YMCA-Sound - ich weiß auch leider gar nicht, was mich da drüber retten oder die Tatsachen verklären sollte. Überlegt doch mal: Aus den 80ern kommen Jogginghosen mit Tennissocken und Karottenjeans!!! Als Kind trug ich in dieser Zeit der größten Modeverirrungen peinliche bunte Leggings und kann mich noch lebhaft an mein Betteln nach einer Winterjacke in Neonfarben  erinnern... Noch immer wird mir heute ganz anders, wenn ich Schulterpolster in einem Kleidungsstück entdecke. Ich meine, wer will schon ernsthaft aussehen, wie ein Zombie aus Michael Jacksons "Thriller"-Video??? Bei uns daheim lief auch nur Radio, nix Plattensammlung und Geschwärme von den Stones. Vielmehr wurde Roger Whittaker feilgeboten oder Peter Maffay mal lauter gedreht. Die 80er bleiben mir folglich suspekt.
Macht aber nix, im Wesentlichen beschränken sich die Berührungspunkte ja auf Queen im Radio, den Prinz aus Zamunda im Fernsehen und gelegentliche 80er Revivalbegegnungen zu Karneval. 

Mit den 90ern ist das komplett anders, in denen bin ich nämlich Zuhause. Und die waren ja wohl tatsächlich voll und ganz s u p e r c o o l. Nach vielen vielen Jahren 80er Party, des Sixties-Style und dem 20er-Jahre Look passierte neulich deshalb was, das mich vor Aufregung regelrecht aufschreien ließ - denn das Cover der Frauen-Zeitschrift meines Vertrauens trompetete mir entgegen: "The 90ies are back"! Man warb mit dem Slogan "So geht der neue Grunge-Look".   
Da bin ich jetzt aber schon irritiert. Hat man sich damals Gedanken über einen "Look" gemacht??? Naja, auf der Loveparade vielleicht. Da bin ich auch mit Kinderschwimmbrille in rosa Hosen angetrabt. Irgendwie kann ich mich aber sonst nicht an irgendwen cooles erinnern, der ausgesehen hätte, als habe er mehr als eine Millisekunde mit der Wahl eines Kleidungsstückes verbracht.
Außer mir selber natürlich: ich war da ja vollpubertär, permanent verliebt in Marc B. aus der Klasse drüber und leider unsagbar uncool (weshalb besagter Marc B. auch leider nie von seinem Schicksal erfahren hat)... In den 90ern war die Wahl der richtigen Klamotten für mich also vor allem eines: eine absolut unlösbare Aufgabe, die man sich besser erst gar nicht stellt. Da Klamotten kaufen auf Grund Wohnens auf dem Lande notgedrungen lange Zeit nur mit Eltern funktionierte und die leider schon anfingen, in diffizilen Angelegenheiten wie der Kleidungs- und Haarfarbenwahl schwierig zu werden, beschränkte ich mich schließlich darauf, abgelegte Sachen von Papa und Mama zu tragen. Die stammten aus der Zeit von vor schon damals zwanzig Jahren und waren eher unauffällig. Sogar eine alte Strickjacke von meiner Oma wurde konfisziert für den Zweck, jegliches Modeverständnis meiner Person völlig zu negieren. (Aber das war immer noch besser, als völlig beknackt mit Karottenhose in der Schule herumzulaufen!)  Einzig und allein ließ ich von Papa für mich Jeans erwerben sowie ein geringeltes T-Shirt, was wohl mal "in" war. Ich kann mich an wilde Verkleidungen erinnern und vor allem an den starken Willen, bloß nichts zu tragen, das irgendwer aus der Elternschaft ernsthaft und ausschließlich für meinen Gebrauch auserkoren hatte. Die 90er sind für mich Nirvana, coole Jungs in Skaterhosen mit langen Haaren, die Hochform und Trennung von Take That, gleichzeitig Heavy Metal neben Marusha, Buffalos, Karohemden, massive Unorientiertheit, deutscher Punkrock und Bad Religion. Und bevor ich es vergesse: Die Zeit der besten Serie, die ich jemals im Fernsehen sah: "Buffy im Bann der Dämonen". Es war die Zeit der Antiwitze (Stehen zwei UBoote im Keller und bügeln Butter...) und des Headbangings. Wir fanden Zebramuster cool und trugen T-Shirts, auf denen "Hash ultra" stand. - Wie soll das denn heute funktionieren, bitte hä???

Neulich im Kaufhaus einer bekannten Kleiderkette entdecke ich aber tatsächlich ein Relikt aus vergangenen Tagen: Ein Karohemd aus Flanell. Sowas hab auch ich in den 90ern getragen!!! Damals hatte ich ein braunes und ein magentafarbenes. Eins gekauft, eins geerbt von Mama. Ich muss das anziehen, geht nicht anders. Ich ertappe mich schon in der Kabine, wie ich mich zu dick finde und dann auch noch einen Pickel in meinem Gesicht (!) entdecke. Muss am Muster liegen, da kommt einiges hoch, dass in der Pubertät begraben lag... 
Auf einem Konzert im Oktober spielt eine Teenieband im Enchilada. Ich trag ´ne Karohose und ´nen bescheuerten Hut. Und dazu, klar: Songs aus den 90ern. Ich stehe in der ersten Reihe, brülle mit und springe wild in der Gegend rum. Plötzlich muss ich fast heulen: Kurt Corbain ist tot, fällt mir nämlich gerade ein. Und dann habe ich auch schon wieder die Haare von meinen Nebenmann im Gesicht. Wir hüpfen da so gleich alt nebeneinander hoch, mit fliegendem Schopf und in voller Ekstase. Mir fällt die Zeitschrift wieder ein. Mein sogenanntem Make up ist schon lange Geschichte an diesem Abend. Die Haare sind stilecht "undone". Klar, hat ja auch der Hut plattgequetscht :-). Und ich denke mir nur, wie soll man das denn nun stylen... Da kann ja einer noch so sehr mit Schlontz Make up und Karoklamotte rumlatschen: Das Feeling kriegt er nicht hingemalt.
Ich hab mir übrigens dann das Karohemd gekauft. Das war ja so schön retro. Wie der Bärchen-Schlafanzug aus alten Zeiten, den ich noch bei meinen Eltern gebunkert habe. Mein Freund W. meinte, er kenne mich so gar nicht. Ich glaub aber, ihm hat das gefallen. Kein Wunder: Back to roots - das ist Heimat und authentic style. Ich bin zufrieden wie frisch gebadet, höre  zum Frühstück NOFX und Aerosmith, trauere im Auto morgens nochmal kurz über die Auflösung von Take Tha, denke dabei an das Musikvideo zu Pray und Zeiten, in denen auf MTV und Viva wirklich noch Musik gesendet wurde. Ich kann demzufolge das Karo mit demselben Stolz tragen wie das Seepferdchen auf dem Badeanzug.
Und Euch jetzt viel Spaß bei Euren 80er Parties, wenn Euch mal wieder nach Nostalgie zumute ist. Zieht wieder Leggings an und Neon-Farben im Fitnessstudio. Verkleidet Euch ruhig im Karneval als Hippies oder geht als Charleston-Girls zum 20er-Abend. 
- Aber die 90er kriegt ihr nicht! ! !

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

*** Dieser Kommentar darf gerne wieder gelöscht werden - muss aber nicht ;-) ***

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