... oder:
Wo zum Teufel fängt die Geschichte an?!
Als ich vor einigen Jahren durch einen dummen Zufall (Danke, Philipp B.!!!) "Die Stadt der träumenden Bücher" von Walter Moers in die Hände bekam, war ich ja zunächst skeptisch - der Erfinder von Comicfiguren wie dem "Kleinen Arschloch" oder dem "Ich sitz in meinem Bonker"-Adolf-Hit erschien mir nicht geeignet, auch ein Buch zu schreiben, das mir gefallen könnte.
Umso erstaunter war ich dann schon nach den ersten wenigen Seiten... Es war gewaltig süchtig machende Literatur, die sich mir da bot. Ich konnte gar nicht mehr aufhören.
Da das Buch außerdem auch noch immens witzig war, fing ich mir inmitten von Lachanfällen, Juchzern und extatischen Leseanfällen auch den einen oder anderen dummen Kommentar des Liebsten ein. Sätze wie: "Was ist denn mit Dir los?" - "Mein Gott, was ist jetzt schon wieder so lustig?" oder: "Jetzt beruhig dich doch mal wieder!" gehörten zur Lektürezeit zu meinen ständigen Begleitern und gipfelten schließlich in der Drohnung, mir dieses verdammte Buch einfach wegzunehmen, damit ich mal wieder vernünftige Konversation betreibe.
Es fing an mit der Frage: "Was ist das denn für ein Buch, dass Du Dich gar nicht mehr einkriegst?" - "Das kann man nicht so genau erklären..." stammelte ich zwischen Glucksern und Kichern. "Der Typ ist so ne Art Dinosaurier und sein Dichtpate ist gestorben, deshalb sucht er jetzt einen Autor, der ein ganz tolles Manuskript geschrieben hat..."
Im Nachhinein betrachtet wundert es mich kein bißchen, dass mein Freund mich zwangsnotwendig für komplett geisteskrank halten musste. Dennoch habe ich es durch Zwangsvorlesen und Überredungskunst geschafft, dass auch er sich eines guten Tages mit den magischen Worten konfrontiert sah, in deren Folge er sich mit Hildegunst on Mythenmetz in die Katakomben von Buchhaim stürzen musste: "Hier fängt die Geschichte an". Deshalb zögerte er auch nicht lange, als er nunmehr das neueste Werk der Übersetzers in den Buchläden entdeckte und feststellte, dass es sich dabei tatsächlich um weitere Abenteuer unseres teuren Helden Hildegunst handelte: Er kaufte das Buch kurzerhand und ich bekam ein unverhofftes Geschenk, dass wahre Freudentaumel vor dem Abendessen auslöste.
Leider, leider, leider ist aber das Gerücht, dass Fortsetzungsromane nie an das erste Buch heranreichen können, nicht umsonst in die Welt gesetzt worden. Vielleicht habe ich aber auch zuviel erwartet, ich weiß es nicht. Etwa auf Seite 259 von insgesamt 427 Seiten war mir jedenfalls unumstößlich klar, das Hildegunst in diesem Roman nicht einen einzigen ernstgemeinten Schritt in das angepriesene Bücherlabyrinth setzen würde.
Nicht, dass ich bewusst wollte, dass mein Held in Todesgefahr gerät! Dennoch lässt der Titel des Buches doch mehr Spielraum zu, als eine bloße Touristenreise nach Buchhaim, in der Hildegunst ein paar Theater besucht. Ansonsten, das muss ich leider sagen, passiert wirklich nicht ergreifend viel spannendes.
Trotzdem habe ich natürlich wieder gelacht, wenn auch nicht annähernd so viel, wie beim ersten Abenteuer. Einen kleinen Ausschnitt will ich deshalb zitieren. Natürlich muss man, um die Stelle auch witzig zu finden, unbedingt wissen, dass die Gattung der Schrecksen eine der hässlichsten Daseinsformen in Zamonien ist und es kein schöner Anblick ist, einer leibhaftigen Schreckse zu begegnen. Hildegunst trifft hier nämlich seinen Freunde und Mitstreiter aus dem ersten Band, den dreigehirnigen Eydeeten Dr. Hachmed Ben Kibitzer und die Schreckse Inazea Anazazi wieder:
"Hallo Mythenmetz!" krächzte sie mit ihrer unangenehmen Reibeeisenstimme.
"Ha...Hallo... Inazea!" stammelte ich. "Was für eine Überraschung! Gut siehst Du aus!" Die faustdicke Lüge kam mir mühelos über die Lippen.
"Danke", sagte die Schreckse. "Du bist fett geworden".
Es war schön, wieder unter Freunden zu sein.
Man muss Moers lassen, dass er bei der Verdrehung der Namen von berühmten Schriftstellern und Komponisten in diesem Buch wahre Wunder vollbracht hat. Oft habe ich ewig gerätselt, wer sich wohl hinter Jonas Nussrath, Evubeth van Goldwein oder Regard Wanrich verbirgt und es auch nur durch weiterführende Tipps wie "Walzer", "Berühmtes Klavierstück in a-moll mit einem schönen Mädchennamen" und "Harpyrenritt" herausbekommen.
Was ich Moers aber übel nehme, ist, dass ich im Laufe der 427 Seiten tatsächlich selbst damit fertig werden musste, dass er vorhat, die Abenteuer von Hildegunst in weitere Forsetzungsromane zu packen und sich am Ende im einer Art Entschuldigungsepilog auch noch damit erklärt, "er sei schlichtweg nicht fertig geworden" und habe deshalb zähneknischend entschieden, "diese Ouvertüre schonmal zu veröffentlichen, damit sein Lesepublikum nicht noch länger warten muss". Naja.... Ehrlich wäre doch gewesen: "Ich und der Verlag möchten gerne noch mehr Geld verdienen. Deshalb mache ich jetzt einen Mehrteiler. Das kündigen wir aber erst gar nicht an, damit der Leser sich das halbe erste Buch lang fragt, wann es denn nun eigentlich losgeht mit der Geschichte. Genialer Gag für Fans, oder?"
Ich finde, man darf dann ruhig auch draufschreiben "Teil 1 - und um das Labyrinth geht es hier noch gar nicht". Ich war jedenfalls schon ein bißchen enttäuscht, zumal dem Buch an vielen Stellen irgendwie der Schwung gefehlt hat, der in allen anderen Zamoniengeschichten doch dem Leser stets das Gefühl vermittelt hatte, sich in einer wilden Leseachterbahn zu befinden, aus der man einfach beim besten Willen nicht aussteigen kann.
Wer also also ein großer Fan der mythenmetzschen Abscheifung ist und sich gerne durch seitenlange - wenn auch mit viel Liebe erdachte - Fachsimpeleien über den Buchhaimer Puppetismus quält, der ist hier an der richtigen Stelle. Wer aber das Abenteuer sucht und verwöhnt durch die ersten Abenteuer von Hildegunst von Mythenmetz haarsträubende Komik und eine echt nervenaufreibende Jagd durch die Katakomben von Buchhaim erwartet, der wird wohl erstmal ziemlich enttäuscht sein.
Ich freu mich trotzdem auf die Fortsetzung (und wehe, es gibt keine, man weiß ja nie) und harre der Dinge die da kommen. Und ein echter Zamonienfan lässt sich ja auch nicht so leicht abschrecken... Falls ich jetzt den Supergag des Buches verraten habe und mich Walter Moers oder der Knaus Verlag deshalb verklagen wollen: Bitte erst bei der Chello melden. Und vorweg: Der Gag ist irgendwie nicht ganz so gelungen.
Walter Moers: Das Labyrinth der träumenden Bücher
Verlag Knaus 2011
ISBN 978-3-8135-0393-7
Mehr Infos auf: Zamonien.de
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen